In einer überraschenden Offensive hat die islamistische Terrorgruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gestürzt und die Kontrolle über Damaskus übernommen. Assad soll ins Exil nach Moskau geflohen sein. Dieser Wendepunkt verändert die politische Landschaft im Nahen Osten und wirft Fragen über die Zukunft des Landes auf.
Blitzoffensive beendet Macht Assads
Bis vor wenigen Wochen schien der syrische Bürgerkrieg in einem fragilen Gleichgewicht verharrt zu sein: Assad kontrollierte den Süden, die Kurden den Nordosten, und türkisch unterstützte Milizen dominierten den Nordwesten. In der Provinz Idlib herrschte die HTS. Doch eine rasche Offensive der HTS durchbrach die Verteidigungslinien der syrischen Armee und führte zur Einnahme von Damaskus.
„Die syrische Armee hat ihre Stellungen fast kampflos aufgegeben“, sagte Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler. „Das zurückgelassene Militärgerät – darunter Panzer und Kampfjets – befindet sich nun in den Händen von HTS.“
Zukunft zwischen Hoffnung und Furcht
Während Teile der syrischen Bevölkerung das Ende von Assads Herrschaft feiern, wächst die Sorge über die Absichten der HTS. „Die Wahl zwischen Assad und HTS ist wie die Wahl zwischen Pest und Cholera“, warnte Schindler. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die Gruppe ein Kalifat errichten will.
Obwohl die HTS versucht, sich als Teil der syrischen Revolution zu präsentieren, berichten Organisationen wie ACLED von Menschenrechtsverletzungen. Zwischen 2020 und 2022 wurden 60 Angriffe auf Zivilisten dokumentiert.
Finanzielle Machtbasis der HTS
Die HTS finanzierte ihren Aufstieg durch die Kontrolle wirtschaftlicher Aktivitäten in Idlib. Die Gruppe besteuerte Handel, Schmuggel und humanitäre Hilfe. Ein Bericht des Middle East Institute zeigt, dass allein ein von der HTS gegründetes Unternehmen für den Handel mit Ölderivaten monatlich 1,67 Millionen US-Dollar einnahm. Die Monopolisierung führte jedoch zu steigenden Preisen und großer Armut in Idlib.
Zusätzlich generierte die Gruppe Einnahmen aus Spenden aus dem Ausland sowie durch Lösegeldzahlungen, etwa für die Freilassung von Geiseln. Insgesamt wird das jährliche Bruttoinlandsprodukt der HTS auf mehrere hundert Millionen US-Dollar geschätzt.
Gefährdete Kurdengebiete
Besonders die kurdischen Gebiete im Nordosten Syriens stehen unter Druck. Dort liegen die größten Ölreserven des Landes, mit einer täglichen Förderung von rund 80.000 Barrel. „Die Kontrolle über diese Ölfelder ist entscheidend“, erklärte Schindler. „Die HTS und ihre Verbündeten könnten versuchen, den Kurden diese Einnahmequelle zu entreißen.“
Ein Land in Trümmern
Nach über einem Jahrzehnt Bürgerkrieg ist Syrien weitgehend zerstört. „Es ist noch unklar, ob die HTS die Herrschaft festigen kann“, so Schindler. „Eines ist sicher: Ohne Stabilität und Frieden wird Syrien weiterhin im Chaos versinken, und Investitionen bleiben aus.“
Wie sich die Machtverhältnisse entwickeln, hängt nun davon ab, wie schnell und mit welchen Mitteln die HTS ihre Kontrolle sichern kann. Die Region bleibt in einer kritischen und ungewissen Phase.