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Abschiebungen: Scheitern trotz großer Versprechungen

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Die deutsche Asylpolitik steht aktuell unter scharfer Beobachtung, insbesondere nach den tragischen Ereignissen in Solingen, bei denen drei Menschen durch einen Messerangriff ihr Leben verloren und acht weitere schwer verletzt wurden. Der mutmaßliche Täter, Issa al-Hassan, hätte bereits 2023 abgeschoben werden sollen. Doch wie in vielen anderen Fällen gelang es den Behörden nicht, die Abschiebung durchzuführen. Diese gescheiterten Abschiebungen werfen ein Schlaglicht auf die Versprechen der Bundesregierung und die Realität der Umsetzung.

Der Fall Issa al-Hassan: Ein Beispiel für viele

Issa al-Hassan, ein 26-jähriger Syrer, kam 2022 nach Deutschland und sollte gemäß den Dublin-Regeln nach Bulgarien abgeschoben werden, wo er ursprünglich eingereist war. Trotz der Zustimmung Bulgariens zur Rücknahme scheiterte die Abschiebung. Im Juni 2023 unternahmen die Behörden einen Versuch, ihn aus der Flüchtlingsunterkunft in Paderborn abzuschieben, doch al-Hassan war nicht auffindbar. Ein einmaliger Versuch blieb erfolglos, und da eine Frist zur Überstellung nach Bulgarien nicht verlängert wurde, übernahm Deutschland die Zuständigkeit. Ende 2023 erhielt al-Hassan dann subsidiären Schutzstatus in Deutschland. Was als Abschiebung geplant war, endete in einer Bleibeberechtigung.

Solingen: ein weiterer Messermord. Was muss noch alles geschehen?

Dieser Fall ist keineswegs eine Ausnahme, sondern spiegelt ein verbreitetes Problem wider. 2023 scheiterten fast zwei von drei geplanten Abschiebungen in Deutschland. Von den 48.670 ausreisepflichtigen Personen, die das Land hätten verlassen müssen, wurden nur rund 16.400 tatsächlich abgeschoben, während 31.330 Abschiebungen fehlschlugen. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch häufig spielen kurzfristige Hindernisse wie die Absage von Charterflügen oder das Nicht-Antreffen der Personen in den Unterkünften eine entscheidende Rolle.

Ursachen des Scheiterns: Warnungen und kurzfristige Hindernisse

Ein wesentlicher Grund für das Scheitern von Abschiebungen liegt in der Vorwarnung der betroffenen Personen. Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP in Berlin, erklärte gegenüber t-online: „Asylbewerber werden oft vorher vor Abschiebungen gewarnt.“ Über soziale Medien, insbesondere über die Plattform X, verbreiten sich Informationen über bevorstehende Massencharterflüge bereits eine Woche im Voraus. Diese Vorwarnungen ermöglichen es den Betroffenen, sich rechtzeitig der Abschiebung zu entziehen, indem sie ihre Unterkünfte verlassen.

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Auch die kurzfristige Weigerung von Zielländern, die Betroffenen aufzunehmen, stellt ein häufiges Problem dar. 2023 kam es in 15.798 Fällen zu „Stornierungen des Ersuchens“, die oftmals auf eine fehlende Landeerlaubnis zurückzuführen sind. Weitere 14.011 Abschiebungen scheiterten, weil die Behörden die Personen nicht antreffen konnten.

Gesetzesreformen: Mehr Befugnisse, aber keine durchschlagende Wirkung

Um dieses Problem zu lösen, verabschiedete die Bundesregierung Anfang 2024 das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“. Es sollte den Behörden mehr Durchgriffsrechte geben und die Zahl der Abschiebungen erhöhen. Das Gesetz erweiterte die Befugnisse der Polizei, indem es ihr erlaubt, auch die Räume von Nachbarn in Flüchtlingsunterkünften zu durchsuchen. Zudem wurde der Ausreisegewahrsam von zehn auf 28 Tage verlängert.

Trotz dieser Maßnahmen zeigt sich bislang keine signifikante Verbesserung. Im ersten Halbjahr 2024 wurden zwar 9.465 Personen erfolgreich abgeschoben, doch gleichzeitig scheiterten 14.601 Abschiebungen – eine Zahl, die nur leicht unter dem Niveau des gesamten Vorjahres liegt, als 31.330 Abschiebungen misslangen. Besonders auffällig ist, dass die meisten dieser gescheiterten Abschiebungen (14.067 Fälle) bereits vor der Übergabe an die Bundespolizei scheiterten.

Die Realität hinter dem Versprechen

Trotz aller Versuche, die Abschiebungen zu beschleunigen und effizienter zu gestalten, bleibt die Bilanz ernüchternd. Zwar hat sich das Verhältnis zwischen erfolgreichen und gescheiterten Abschiebungen im ersten Halbjahr 2024 leicht verbessert – es liegt nun bei etwa 1 zu 1,5 statt wie 2023 bei 1 zu 2 –, doch das eigentliche Problem besteht weiterhin: Zu viele Abschiebungen scheitern, und dies oft aus kurzfristigen Gründen.

Der Fall Issa al-Hassan steht symbolisch für die Herausforderungen, denen sich die deutsche Asylpolitik gegenübersieht. Trotz eines verstärkten Gesetzesrahmens und verschärfter Maßnahmen bleibt das Versprechen von Kanzler Olaf Scholz, „in großem Stil abzuschieben“, bisher unerfüllt. Die Bundesregierung muss sich daher die Frage gefallen lassen, ob die bisherigen Ansätze ausreichen oder ob grundlegende Änderungen erforderlich sind, um das Vertrauen in die Asylpolitik wiederherzustellen.

Wer trägt die Verantwortung?

Die Verantwortung für das Scheitern der Abschiebeinitiative in Deutschland ist vielschichtig und verteilt sich auf mehrere Ebenen des politischen und administrativen Apparats. Zunächst einmal liegt die politische Hauptverantwortung bei der Bundesregierung und insbesondere bei Bundeskanzler Olaf Scholz. Er hat die große Abschiebeinitiative angekündigt und damit Erwartungen geweckt, die bislang nicht erfüllt wurden. Scholz’ Versprechen, in „großem Stil abzuschieben“, bleibt bislang unerfüllt, was auf unzureichende politische Führung und möglicherweise auf fehlerhafte Strategien hinweist.

Bundeskanzler Olaf Scholz

Bundesinnenministerium und Innenministerin Nancy Faeser

Eine zentrale Rolle spielt auch das Bundesinnenministerium unter der Leitung von Innenministerin Nancy Faeser. Das Ministerium ist für die Ausgestaltung und Umsetzung der Asyl- und Abschiebepolitik verantwortlich. Die Einführung des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ war ein Versuch, die Abschiebepraxis zu verschärfen, doch die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichend sind. Ministerin Faeser trägt die Verantwortung dafür, dass die Gesetze effektiv umgesetzt werden und dass die Behörden in die Lage versetzt werden, Abschiebungen konsequent durchzuführen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Länder und Kommunen: Die Umsetzungsverantwortung

Ein erheblicher Teil der Verantwortung liegt auch bei den Bundesländern und den kommunalen Behörden, die für die praktische Durchführung der Abschiebungen zuständig sind. Die Ausländerbehörden vor Ort spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Abschiebungen zu organisieren und durchzuführen. Die Zahlen zeigen jedoch, dass es hier massive Probleme gibt: Oftmals werden Abschiebetermine verpasst oder die betroffenen Personen sind zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht auffindbar. Diese operativen Versäumnisse deuten auf organisatorische Schwächen und möglicherweise auch auf mangelnde Koordination zwischen den Behörden hin.

Polizei und Sicherheitsbehörden

Auch die Polizei und die Bundespolizei sind in die Verantwortung einzubeziehen. Sie sind für die Durchführung der Abschiebungen verantwortlich und stehen vor der Herausforderung, die betroffenen Personen in den Unterkünften anzutreffen und sicher zum Flughafen oder zur Grenze zu bringen. Benjamin Jendro von der Polizeigewerkschaft GdP wies darauf hin, dass Asylbewerber häufig vor geplanten Abschiebungen gewarnt werden. Dies deutet auf Schwächen im Sicherheitsapparat und in der Geheimhaltung von Abschiebungen hin, die das Scheitern vieler Abschiebungsversuche erklären könnten.

Justiz und Rechtsprechung

Auch die Justiz trägt eine gewisse Mitverantwortung, insbesondere in Fällen, in denen Abschiebungen durch Klagen und Gerichtsverfahren verzögert oder verhindert werden. Während das Recht auf einen fairen Prozess ein Grundpfeiler des Rechtsstaates ist, stellen die zahlreichen Klagen und einstweiligen Verfügungen eine erhebliche Herausforderung für die Abschiebepraxis dar. In Fällen wie dem von Issa al-Hassan, bei dem eine Klage gegen den Abschiebebescheid erhoben wurde, stellt sich die Frage, ob die gerichtlichen Verfahren effizient und zügig genug abgewickelt werden, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden.

Ein kollektives Versagen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verantwortung für das Scheitern der Abschiebeinitiative nicht auf eine einzelne Person oder Institution reduziert werden kann. Es handelt sich vielmehr um ein kollektives Versagen auf mehreren Ebenen: Politische Führung, gesetzgeberische Maßnahmen, administrative Umsetzung und operative Durchführung sind allesamt Bereiche, in denen Verbesserungen dringend erforderlich sind. Die Bundesregierung, die Bundesländer, die kommunalen Behörden, die Polizei und die Justiz müssen enger zusammenarbeiten und ihre Anstrengungen intensivieren, um die Abschiebepraxis in Deutschland zu verbessern. Nur durch ein koordiniertes und konsequentes Vorgehen kann das Versprechen, „in großem Stil abzuschieben“, tatsächlich eingelöst werden.