In einer unerwarteten Wendung wurde die abschließende Entscheidung über das EU-Lieferkettengesetz, welches große Unternehmen zur Verantwortung ziehen soll für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten, kurzfristig vertagt. Dieser Schritt folgte der Erkenntnis, dass aufgrund der Opposition der FDP innerhalb der deutschen Regierung keine Mehrheit im Rat der EU-Mitgliedstaaten zu erreichen war. Die Vertagung, bekanntgegeben durch die belgische Ratspräsidentschaft, unterstreicht die durch die angekündigte Stimmenthaltung Deutschlands entstandene Unsicherheit.
Vertiefende Betrachtung des EU-Lieferkettengesetzes
Das angestrebte EU-Lieferkettengesetz beabsichtigt, große Konzerne verstärkt in die Pflicht zu nehmen, insbesondere wenn ihr Geschäftsbetrieb außerhalb der Europäischen Union von Kinder- oder Zwangsarbeit profitiert. Zudem soll es Unternehmen dazu anhalten, die Pariser Klimaziele zur Reduzierung der globalen Erwärmung intensiver zu verfolgen. Obgleich Deutschland bereits über ein nationales Lieferkettengesetz verfügt, würden die Regelungen des neuen EU-Gesetzes die bestehenden Anforderungen deutlich erweitern.
Widerstand und Vorbehalte
Die Entscheidung der FDP, sich gegen das Gesetz in seiner gegenwärtigen Form auszusprechen, gründet auf der Auffassung, dass es für kleine und mittelständische Unternehmen „unzumutbar“ sei, so Bundesjustizminister Marco Buschmann. Daraufhin kündigte die Bundesregierung an, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Eine Zustimmung im Rat erfordert die Ja-Stimmen von 15 der 27 EU-Staaten, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Neben Deutschland haben auch Italien und einige kleinere EU-Mitgliedsländer Vorbehalte gegen das Gesetz geäußert.
Kritische Stimmen und Appelle zum Umdenken
Die Haltung der FDP und die daraus resultierende Verzögerung der Entscheidung stoßen EU-weit auf Kritik. Anna Cavazzini, EU-Abgeordnete der Grünen, kritisierte die FDP dafür, Deutschland zu einer Enthaltung gedrängt und anderen Ländern Druck gemacht zu haben, dem EU-Lieferkettengesetz ebenfalls ihre Zustimmung zu verwehren. Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, bezeichnete es als „überaus bedauerlich“, dass die Abstimmung über eine so wichtige Richtlinie gerade wegen fehlender Unterstützung aus Deutschland ins Stocken geraten ist. Sie sieht jedoch noch eine Chance für eine Zustimmung bei der nächsten Sitzung, um Deutschlands Ansehen als zuverlässiger Partner in der EU wiederherzustellen. Tiemo Wölken, ein sozialdemokratischer Europaabgeordneter, äußerte Besorgnis über die Zuverlässigkeit Deutschlands als Verhandlungspartner.
Gegenargumente und die nächsten Schritte
Carl-Julius Cronenberg, FDP-Bundestagsabgeordneter, hob hervor, dass neben Deutschland auch aus vielen anderen Mitgliedsländern deutliche Kritik am Gesetzesentwurf laut wurde. Er argumentierte, dass die Richtlinie eine erhebliche bürokratische Belastung darstellen und insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen überfordern würde, ohne dabei den Schutz der Menschenrechte signifikant zu verbessern. Wann die Mitgliedstaaten erneut über das Lieferkettengesetz abstimmen werden, steht noch nicht fest. Durch die Vertagung ist es nun fraglich, ob die Richtlinie noch vor den Europawahlen Anfang Juni verabschiedet werden kann.
Die Verschiebung der Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz spiegelt die komplexen Herausforderungen wider, die mit der Implementierung umfassender regulatorischer Maßnahmen einhergehen. Während die Ziele des Gesetzes – die Förderung von Menschenrechten und Umweltschutz in weltweiten Lieferketten – weitreichende Unterstützung finden, führen die praktischen Auswirkungen auf Unternehmen, insbesondere auf den Mittelstand, zu kontroversen Debatten. Die nächsten Monate werden aufzeigen, ob und wie die EU-Mitgliedsstaaten einen Konsens finden können.