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Debatte um das EU-Lieferkettengesetz: Zwischen Bürokratie und Nachhaltigkeit

Die Europäische Union steht kurz davor, ein umfassendes Lieferkettengesetz zu verabschieden, das weitreichende Auswirkungen auf Unternehmen innerhalb und außerhalb der EU haben könnte. Initiiert von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zielt das Gesetz darauf ab, die Verantwortung von Unternehmen für ihre Lieferketten zu erhöhen, insbesondere in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz. Doch während die einen in dem Gesetz einen wichtigen Schritt zur Förderung von Nachhaltigkeit und ethischen Geschäftspraktiken sehen, warnen andere vor einem „Bürokratie-Tsunami“, der insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen hart treffen könnte.

Kernpunkte des geplanten Lieferkettengesetzes

Das geplante Gesetz sieht vor, dass Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 150 Millionen Euro sicherstellen müssen, dass ihre Lieferketten frei von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden sind. In bestimmten „dreckigen“ Branchen soll diese Regelung bereits für Unternehmen mit 250 Mitarbeitern gelten. Die Verordnung würde nicht nur EU-Unternehmen betreffen, sondern auch Nicht-EU-Unternehmen, die in den europäischen Markt liefern.

Die EU-Kommission hofft, dass durch die Einführung einer solchen Regelung die negativen Auswirkungen der globalen Wirtschaft auf Menschen und Umwelt minimiert werden können. Johannes Jäger, Volkswirtschaftsprofessor aus Wien, unterstreicht in einer Studie im Auftrag der österreichischen Arbeiterkammer die potenziellen Vorteile des Gesetzes, indem er von einer „Win-Win-Situation“ spricht: Weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung könnten nicht nur zu einer humaneren Weltwirtschaft beitragen, sondern auch die ökonomischen Bedingungen insgesamt verbessern.

Kritik und Bedenken

Doch nicht alle teilen diesen Optimismus. In Deutschland und anderen EU-Ländern mehren sich die Stimmen, die vor den bürokratischen und finanziellen Belastungen warnen, die das Gesetz mit sich bringen könnte. Die Stiftung Familienunternehmen und Politik verweist auf eine Umfrage unter ihren Mitgliedsunternehmen, die eindeutige Bedenken offenlegt: Selbst kleinste Unternehmen, wie der Fahrradhändler um die Ecke, könnten durch das Gesetz gezwungen sein, umfassende rechtliche Auskünfte zu ihren Lieferanten zu geben – ein Prozess, der ohne juristische Beratung kaum zu bewältigen sei.

Ein international tätiges Familienunternehmen aus Deutschland mit 20.000 Lieferanten weltweit berichtet von Kosten in Höhe von zwei Millionen Euro, die allein für die Implementierung der neuen Regelungen entstanden sind. Dies, obwohl bei der Überprüfung der Lieferanten festgestellt wurde, dass alle bereits die UN-Menschenrechtsstandards erfüllen.

Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik, bringt die Sorge vieler zum Ausdruck: Das Gesetz könne „bei kleinen und großen Unternehmen zu unkalkulierbaren Rechts- und Haftungsrisiken und einem Bürokratie-Tsunami“ führen und müsse daher überarbeitet werden.

Die politische Dimension

Die Debatte um das Lieferkettengesetz spiegelt auch die politischen Spannungen innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten wider. Während der EU-Ministerrat eine Abschwächung der Regelung anstrebt, plädiert das Parlament für eine vollständige Umsetzung und erweitert die Verpflichtungen sogar auf den Klimaschutz. In Deutschland zeigt sich die FDP skeptisch gegenüber dem Gesetz, und auch die Unionsparteien stehen dem Vorhaben kritisch gegenüber. Oppositionsführer Friedrich Merz fordert sogar, dass Deutschland seine Zustimmung zum Gesetz nicht erteilen solle.

Das EU-Lieferkettengesetz steht exemplarisch für die Herausforderung, globale Wirtschaftsaktivitäten nachhaltiger und ethischer zu gestalten. Während das Ziel, Menschenrechte zu schützen und Umweltschäden zu vermeiden, breite Zustimmung findet, bleibt die Frage offen, wie dieses Ziel erreicht werden kann, ohne kleine und mittelständische Unternehmen zu überfordern. Die kommenden Monate werden zeigen, ob und in welcher Form das Gesetz verabschiedet wird und welche Auswirkungen es tatsächlich auf die Wirtschaft in Europa und darüber hinaus haben wird.