Flüchtlinge aus Ländern wie Italien ziehen oft weiter nach Deutschland, wie Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge belegen.
Seit dem vorherigen Dezember hat die römische Regierung nahezu keine Flüchtlinge mehr aus Deutschland zurückgenommen, obgleich diese Personen zuerst italienischen EU-Boden betreten haben. Dies bildet den Mittelpunkt einer gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen Rom und Berlin. Die Spannungen könnten sich bald erhöhen, da in den letzten 48 Stunden rund 7.000 Migranten auf der italienischen Insel Lampedusa gelandet sind.
Gemäß der Dublin-Verordnung liegt die Zuständigkeit für Asylverfahren und die Unterbringung dieser Menschen bei Italien. Doch in der Realität verlagern viele Migranten ihren Aufenthaltsort in andere EU-Länder, vor allem nach Deutschland, um Asylanträge zu stellen. Experten nennen dies „Sekundärmigration“.
Reform des EU-Asylrechts
Im Juni haben sich die EU-Innenminister auf eine straffere Asylgesetzgebung geeinigt. Es ist geplant, Migranten ohne Aufenthaltsperspektive strenger zu behandeln. Neuankömmlinge aus als sicher eingestuften Ländern sollen nach dem Grenzübertritt in streng überwachte Einrichtungen gebracht werden. Hier wird normalerweise innerhalb von zwölf Wochen überprüft, ob der Antragsteller Asylberechtigungen hat. Falls nicht, sollte er unverzüglich abgeschoben werden.
Da Rom die Rücknahme von Migranten gemäß der Dublin-III-Verordnung weitestgehend ablehnt, hat Deutschland angekündigt, im Rahmen eines Solidaritätsmechanismus vorerst keine Flüchtlinge mehr aus Italien aufzunehmen. Dieser Mechanismus soll Erstankunftsländer wie Italien oder Zypern entlasten.
Der Regierungssprecher, Steffen Hebestreit, wies Vorwürfe zurück, dass Deutschland angesichts der Flüchtlingskrise auf Lampedusa nicht genug unternimmt. Niemand in der EU bestreitet, dass Deutschland „höchst solidarisch“ agiert, betonte er.
Bis Ende August wurden 54.803 Übernahmeanträge gestellt
Die Auswirkungen der Sekundärmigration auf Deutschland zeigt sich in den Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Von Januar bis Ende August wurden 54.803 Übernahmeersuchen gemäß der Dublin-Verordnung an EU-Mitgliedsstaaten übermittelt. 12.452 Ersuchen gingen an Italien und 4.368 an Griechenland, so ein Sprecher des Amtes.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, betonte die Notwendigkeit, Rücküberstellungen zu erleichtern. „Die Dublin III-Verordnung ist bindendes Recht. Alle EU-Staaten müssen sich daran halten“, äußerte er. Flüchtlinge dürfen nicht einfach weitergeleitet werden, um Verantwortung zu umgehen, fügte Thomae hinzu.
Für Länder wie Italien, die am Mittelmeer liegen, ist gleichzeitig ein Fortschritt bei der anstehenden EU-Asylreform notwendig.
„Deutschland erfährt einen erheblichen Zustrom durch illegale Sekundärmigration und trägt große Verantwortung bei der Aufnahme“, bemerkte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm. Innenministerin Nancy Faeser sollte sich für klare EU-Richtlinien starkmachen, so der CDU-Politiker.
„Personen, die in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, sollten bei unautorisierten Weiterreisen innerhalb der EU an den internen Grenzen zurückgewiesen werden“, forderte Throm.
Ein weiteres effektives Mittel gegen Sekundärmigration wäre die dauerhafte Zuständigkeit eines Landes für das Asylverfahren. „Sozialleistungen sollten nur im zuständigen Land bezogen werden, auch nach Beendigung des Asylverfahrens“, verlangte Throm.
Zahlreiche Flüchtlingsboote starteten aus Tunesien
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollte den Migrationsdruck mit einer im Juli abgeschlossenen Absichtserklärung mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied verringern. Ein gemeinsamer Kampf gegen Menschenhändler ist geplant. Allerdings haben die jüngsten Ereignisse gezeigt, dass dies bisher nicht erfolgreich war. Die Flüchtlingsboote, die diese Woche in Lampedusa ankamen, starteten meist aus Tunesien.
Noch letzte Woche lobte Ursula von der Leyen das Abkommen mit Tunesien in ihrer Rede zur Lage der Union. Doch das Abkommen steht kurz vor dem Scheitern, da die Regierung in Tunis einer EU-Parlamentsdelegation die Einreise verweigerte, unzufrieden mit der Kritik an der Menschenrechtssituation im Land.
Die Frage in Brüssel lautet nun, wie die italienische Premierministerin Giorgia Meloni weiter vorgehen wird. Sie hat sich in vielen Bereichen als kooperativ gegenüber der EU gezeigt, benötigt jedoch auch finanzielle Unterstützung von der Union. Doch nun steht sie unter Druck von Koalitionspartnern. Vor allem der rechtsextreme Lega-Chef und Vizepremier Matteo Salvini versucht, sich mit harten Aussagen zu profilieren, bezeichnete die Situation in Lampedusa gar als „Kriegsakt“.
Inmitten dieser schwierigen Lage strebt die EU eine Asylsystemreform an. Aber die Zeit ist knapp, da im Juni nächsten Jahres Europawahlen anstehen. Bis dahin sollte ein solider Kompromiss erreicht werden, da demokratische Parteien einen Rechtsruck im Europäischen Parlament befürchten, hervorgerufen durch Migrationsprobleme.
Die EU-Innenminister hatten sich im Juni auf härtere Verfahren für Migranten mit geringen Aufenthaltschancen geeinigt. Das Europaparlament hat jedoch auch Mitspracherecht, und die Vorschläge sind dort umstritten. Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, kritisierte, dass EU-Länder ihren „moralischen Kompass“ verloren haben und Menschenrechte stark einschränken. Er forderte stattdessen legale Migrationswege und die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer.