Im Sommer 2019 erfolgte eine der umstrittensten Entscheidungen in der jüngeren Geschichte der Europäischen Union: Ursula von der Leyen, damals deutsche Verteidigungsministerin, wurde zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. Dieser Vorgang löste weitreichende Diskussionen über die demokratische Legitimität und Transparenz innerhalb der EU-Institutionen aus. Von der Leyen war nicht das Ergebnis eines offenen Wahlkampfs oder der Spitzenkandidatenprozesse, wie sie in der Vergangenheit praktiziert wurden, sondern wurde vielmehr durch hinter den Kulissen geführte Verhandlungen der EU-Staats- und Regierungschefs ausgewählt.
Der Bruch mit dem Spitzenkandidatenprinzip
Die Wahl von der Leyens markierte einen deutlichen Bruch mit dem sogenannten Spitzenkandidatenprinzip, das 2014 eingeführt wurde, um den Prozess der Auswahl des Kommissionspräsidenten transparenter und demokratischer zu gestalten. Nach diesem Prinzip sollte der Spitzenkandidat der Partei, die bei den Europawahlen die meisten Sitze gewinnt, zum Präsidenten der Kommission ernannt werden. Manfred Weber, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), der größten Fraktion im Europäischen Parlament, wurde jedoch übergangen, obwohl er eine europaweite Kampagne geführt hatte.
Kritik und Kontroversen
Die Wahl von der Leyens wurde von verschiedenen Seiten stark kritisiert. Kritiker bemängelten vor allem den Mangel an Transparenz und demokratischer Legitimität, da von der Leyen vor ihrer Nominierung nicht als Spitzenkandidatin aufgetreten war und somit den Wählern in den Mitgliedstaaten nicht direkt präsentiert wurde. Ihre Wahl wurde als ein Beispiel für die Vetternwirtschaft und die Entscheidungsfindung hinter verschlossenen Türen in Brüssel angeführt, die dem demokratischen Anspruch der EU zuwiderlaufen.
Die Folgen für die “EU-Demokratie”
Die Umstände rund um die Wahl von der Leyens werfen grundlegende Fragen über das demokratische System der EU und die Rolle der Bürgerinnen und Bürger in diesem Prozess auf. Das Übergehen des Spitzenkandidatenprinzips und die Auswahl einer Kandidatin, die nicht durch einen öffentlichen Wahlkampf legitimiert war, haben bei vielen Europäern Zweifel an der Transparenz und der Rechenschaftspflicht der EU-Institutionen geweckt.
Die Wahl Ursula von der Leyens zur Präsidentin der Europäischen Kommission bleibt ein umstrittenes Kapitel in der Geschichte der Europäischen Union. Sie verdeutlicht die Spannungen zwischen den Idealen demokratischer Legitimität und den Realitäten politischer Machtspiele auf europäischer Ebene. Während von der Leyen ihre Amtszeit mit einer Reihe von Initiativen und Vorschlägen begonnen hat, bleiben die Fragen nach demokratischer Transparenz und Beteiligung innerhalb der EU aktueller denn je.