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Der drohende Kollaps der Atlantik-Strömung: Europa vor einem klimatischen Wendepunkt

Die Vorstellung, dass der Klimawandel Europa nicht weiter erwärmt, sondern stattdessen in einen „Kühlschrank“ verwandelt, klingt fast wie ein paradoxes Gedankenspiel. Doch jüngste Berechnungen eines Supercomputers legen genau dieses Szenario nahe. Eine zentrale warme Atlantik-Strömung, die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC), zeigt erste Anzeichen eines möglichen Kollapses. Dieses Ereignis könnte weitreichende und verheerende Auswirkungen auf das Klima, die Meeresspiegel und die Temperaturen weltweit haben.

Ein kritischer Wendepunkt in der Klimaforschung

Die AMOC ist ein wesentliches Element des globalen Klimasystems. Sie transportiert warmes Wasser aus den Tropen in den Nordatlantik, wo es abkühlt, sinkt und sich dann weiter nach Süden ausbreitet. Diese Zirkulation spielt eine entscheidende Rolle dabei, die Klimabedingungen in der nördlichen Hemisphäre relativ mild zu halten. Doch die Stabilität dieses Systems ist durch den Klimawandel gefährdet. Die Erwärmung der Ozeane und der Zustrom von Süßwasser durch das Abschmelzen der Gletscher könnten dieses fein abgestimmte Gleichgewicht stören.

Forschende aus den Niederlanden haben die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die AMOC mit Hilfe von Supercomputern untersucht und ihre Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht. Sie warnen, dass die AMOC kurz vor einem „verheerenden Kipppunkt“ steht, was alarmierende Folgen für das globale Klima haben könnte. In manchen Regionen könnte es zu drastischen Temperaturanstiegen kommen, während in anderen, insbesondere in Europa, die Temperaturen signifikant fallen könnten.

Die potenziellen Auswirkungen eines Kollapses

Sollte die AMOC zusammenbrechen, könnten die Temperaturen in Teilen Europas innerhalb eines Jahrhunderts um bis zu 30 Grad Celsius sinken. Dies würde innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem drastischen Klimawandel führen, für den es keine realistischen Anpassungsmöglichkeiten gibt. Gleichzeitig könnten auf der Südhalbkugel die Temperaturen steigen, und im Amazonasgebiet könnten sich die Regen- und Trockenzeiten umkehren, was das Ökosystem dort stark beeinträchtigen würde. Auch ein Anstieg des Meeresspiegels um etwa einen Meter könnte die Folge sein, bedingt durch ein beschleunigtes Abschmelzen des antarktischen Eisschildes.

Wissenschaftliche Einschätzungen und Debatten

Die Frage, wann ein solcher Kollaps tatsächlich eintreten könnte, bleibt offen. Die kontinuierliche Beobachtung der AMOC seit 2004 bietet wichtige Daten, doch laut Renè van Westen, Hauptautor der Studie und Forscher an der Universität Utrecht, bewegen wir uns auf einen Kipppunkt zu. Die Geschichte zeigt, dass es bereits vor mehr als 12.000 Jahren zu einem Stillstand kam, ausgelöst durch schnelles Abschmelzen der Gletscher. Die Wiederholung eines solchen Ereignisses hätte katastrophale Folgen.

Einige Wissenschaftler, wie Jeffrey Kargel und Stefan Rahmstorf, betonen die Bedeutung dieser Forschung und deren Beitrag zum Verständnis der AMOC-Stabilität. Die Simulation zeigt auf, dass die AMOC einen kritischen Punkt erreicht, an welchem sie zum Erliegen kommt, sobald der Nordatlantik durch Süßwasserzufuhr verdünnt wird.Diese Erkenntnisse sind ein bedeutender Fortschritt in der Klimawissenschaft und unterstreichen die Dringlichkeit, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen.

Die Notwendigkeit globaler Klimaschutzmaßnahmen

Die Forschung zeigt deutlich, dass die AMOC dem Kipppunkt wahrscheinlich nähergekommen ist. Prof. Dr. Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Technischen Universität München weist darauf hin, dass die Ergebnisse robust sind, aber eine Extrapolation in die Zukunft, um den Zeitpunkt eines potenziellen Kippens genau vorherzusagen, nicht zulässig ist. Die dringende Botschaft ist jedoch klar: Die globalen Treibhausgasemissionen müssen so schnell wie möglich auf Null reduziert werden, um das Risiko eines AMOC-Kollapses zu minimieren.

Die Forschungsergebnisse unterstreichen ein Szenario, das um jeden Preis vermieden werden muss. Jedes Zehntelgrad der Erderwärmung erhöht das Risiko eines Zusammenbruchs der AMOC. Diese Erkenntnisse fordern eine sofortige und entschlossene Reaktion der globalen Gemeinschaft, um die verheerenden Auswirkungen eines Klimawandels, der Europa in einen Kühlschrank verwandeln könnte, zu verhindern.