China, USA, Europa: Bei VW herrscht überall Feueralarm
VW-Direktor Oliver Blume möchte den Konzern überlegt reorganisieren und in einigen Jahren die Erfolge präsentieren. Doch die Daten der bedeutendsten Märkte offenbaren: Zunächst muss Blume einige Brände bekämpfen, bevor er die Neustrukturierung startet.
„Das Dach steht in Flammen“ – so versuchte der Geschäftsführer der Marke VW, Thomas Schäfer, im Juli etwa 2000 Führungskräfte des Automobilherstellers in einer Videokonferenz wachzurütteln. Die Zukunft der Marke VW steht auf dem Spiel, betonte er, und „sehr herausfordernde Wochen und Monate“ würden auf das Unternehmen zukommen.
Jetzt, nach der Sommerpause, sind die Führungskräfte zurück an ihren Arbeitsplätzen – und die schwierige Phase hat begonnen: Wegen geringer Nachfrage nach Elektroautos plant VW, im Werk in Zwickau etwa 270 Arbeitsplätze abzubauen. 2000 weitere Arbeitsplätze könnten gefährdet sein. In Dresden wird die Produktion des Elektroautos ID.3 gestoppt. Im Emdener Werk wurden Mitarbeiter, die am Elektro-SUV ID.4 arbeiten, bereits den ganzen Sommer über kurzzeitig freigestellt.
Dies ist jedoch nur ein Vorgeschmack auf eine Krise, die den gesamten Konzern zu erfassen droht.
Es handele sich lediglich um eine „Transformation“, die „große Bemühungen erfordert und zielstrebig in Angriff genommen werden muss“, versuchte Volkswagen-Konzernleiter Oliver Blume kürzlich in einem Interview zu beruhigen. Aber eine genaue Analyse der drei größten Märkte von Volkswagen offenbart: Es geht nicht bloß um eine Transformation, die entschieden angegangen werden muss. Es geht um Schadensbegrenzung.
Die drei Hauptmärkte von VW
China:
Auf diesem für Volkswagen entscheidenden Markt, auf dem etwa ein Drittel aller VW-Fabriken stehen, sind sämtliche Pläne, zur alten Stärke zurückzukehren, hinfällig. Analysten spekulieren jetzt eher darüber, welchen Marktanteil Volkswagen in China überhaupt noch behalten kann. Denn der Konzern ist dort vor allem bei traditionellen Verbrennern stark. Bei den E-Autos, die die Verbrenner rasch verdrängen, haben die Wolfsburger mit knapp drei Prozent Marktanteil nur eine geringe Präsenz. Um in diesem Segment führend zu werden, müsste der Konzern monatlich 100.000 bis 200.000 E-Autos verkaufen. Im August waren es jedoch nur etwa 20.000.
Auch zeigt VW den Chinesen nicht mehr, wie man Autos produziert – mittlerweile ist es genau umgekehrt. VW plant, in Zukunft mit dem chinesischen E-Auto-Produzenten XPeng zusammenzuarbeiten. Mit dessen Unterstützung hofft VW, ab 2026 in China technisch überlegene und attraktivere Modelle im Sortiment zu haben. Was geschieht jedoch bis dahin? Und was, wenn diese Partnerschaft – wie viele vorherige – nicht gelingen sollte?
Es herrscht Feueralarm, doch Rettungskräfte sind noch nicht in Sicht. Aber Brandstifter gibt es: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwägt Schutzzölle auf E-Autos aus China.
Ebenso riskant für Volkswagen ist die jüngste Bemerkung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, dass der chinesische Staatschef Xi Jinping ein Diktator sei.
Falls sich die Beziehungen zwischen dem Westen und China weiter verschlechtern, könnte VW seine 33 Werke in China abschreiben und etwa ein Drittel seiner Konzerngewinne verlieren. Der VW-Konzern, wie wir ihn kennen, würde dann der Vergangenheit angehören. Laut der Führungsspitze von VW reichen die aktuellen Gewinne des Konzerns bereits jetzt nicht für ein nachhaltiges Überleben aus, daher soll ein konzernweites Sparprogramm eingeführt werden.
USA:
Da das Geschäft in China unsicher ist, investiert VW Milliarden, um das Geschäft in Nordamerika auszubauen. In den nächsten Jahren möchte der Nordamerikachef Pablo Di Si den Marktanteil in den USA von aktuell etwa zwei auf fünf Prozent erhöhen und bis 2030 auf zehn Prozent steigern. Dieses Ziel hatte der Konzern bereits früher festgelegt, musste jedoch akzeptieren, dass es auf dem hochwettbewerbsintensiven US-Markt mit traditionellen Verbrennern nicht realisierbar war. Doch mit E-Autos könnte es nun klappen, so die Erwartung in Wolfsburg, denn hierbei würden die Karten neu gemischt.
Daher produziert VW nun verstärkt E-Autos in Nordamerika, beginnend mit dem SUV ID.4. 90.000 Einheiten sollten dieses Jahr eigentlich im US-Werk Chattanooga produziert werden. Doch die Verkaufszahlen deuten darauf hin, dass VW seine Strategie dringend überdenken muss, um zu verhindern, dass die SUVs sich anhäufen. Denn nur etwa 16.500 ID.4 wurden im ersten Halbjahr in Nordamerika verkauft. Über alle SUV-Modelle hinweg konnte VW um zehn Prozent zulegen, bei den konventionellen Pkw wie dem VW Jetta fielen die Verkäufe jedoch um 26 Prozent.
Obwohl der Gesamtmarkt um 13 Prozent wuchs, bewegt sich Volkswagen insgesamt nicht in Richtung eines fünfprozentigen Marktanteils – sondern in die entgegengesetzte Richtung: Nach 2,2 Prozent im Vorjahr erreichte VW im ersten Halbjahr lediglich 1,9 Prozent.
Das erwartete Wachstum in Amerika, das andere Probleme im Konzern hätte lindern können, bleibt bestenfalls aus. Im schlimmsten Fall könnte Nordamerika selbst zu einem massiven Problem für den Konzern werden, wenn die Umsätze dort trotz der Milliardeninvestitionen nicht steigen.
Europa:
Neben China und Nordamerika ist Europa der dritte wichtige Markt für Automobilhersteller. Der VW-Konzern profitiert hier von einem Heimvorteil und ist mit 26 Prozent Marktanteil klarer Marktführer. Doch auch in Europa hält der Trend zum E-Auto an. Das ist an sich gut für Volkswagen, denn der Konzern hat schon immer davon profitiert, dass er zu den Trendsettern gehörte. Im Moment jedoch führt der Trend zum E-Auto zu einem massiven Wandel des Marktes – und hier zeigt sich VW als Verlierer.
Denn obwohl Volkswagen in Europa nach wie vor Marktführer ist, ist die Marke in einem Segment, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, nicht mehr führend: Die Volkswagen Gruppe hatte im ersten Halbjahr 2021 gerade einmal 13 Prozent Marktanteil bei Elektroautos. Teslas Model 3 verkauft sich derzeit besser als der ID.3, obwohl es fast doppelt so teuer ist. Die Konkurrenz – nicht nur von Tesla, sondern auch von anderen etablierten Autoherstellern und neuen Playern – nimmt zu, und VW muss reagieren.
Es besteht jedoch Hoffnung für den Konzern: Ein neuer Kompakt-SUV, der ID.2, soll im nächsten Jahr vorgestellt werden, und er könnte den Konzern wieder auf den Pfad des Wachstums bringen. Das Modell soll weniger als 20.000 Euro kosten und könnte daher ein echter Bestseller werden.
Die Lage ist ernst für den Wolfsburger Konzern. Doch aus Krisen entstehen oft Chancen – und VW hat in der Vergangenheit bereits mehrfach gezeigt, dass es in der Lage ist, sich selbst neu zu erfinden. Das Potential ist da, und der Druck, dieses Potential zu nutzen, steigt.